Ausgerechnet ein Virus holt die Handschuhe aus der Vornehm- und Distanz-Ecke und macht sie zu einem gängigen funktionsneutralen Alltags-Accessoire.
Was für ein Striptease, den Rita Hayworth da andeutet als Tänzerin „Gilda“ im gleichnamigen Film von 1946. Im langen schwarzen Satin-Kleid mit passenden Handschuhen, die ihr bis über das Ellbogengelenk reichen, schreitet Hayworth über die Bühne. Dazu singt sie Put the Blame on Mame, den später ebenso legendären Jazz-Song über eine Femme fatale. Langsam, Zentimeter um Zentimeter, streift Hayworth sich den rechten Handschuh ab, schwingt ihn dann ein paarmal um das Handgelenk, bevor sie ihm mit einem lasziven Lächeln über die Schulter schleudert. Einer der großen Handschuh-Momente der Filmgeschichte! Handschuhe als Teaser einer ebenso verbotenen wie unerreichbaren Frucht. Das änderte sich mit der Popmusik. Erst inspirierte die Rocky Horror Picture Show mit ihrem Handschuh-affinen Outfit die Punk- und Gothic-Szene, dann machte Madonna in den 1980ern Handschuhe als Accessoire zumindest Club-kompatibel – in einer fingerlosen Variante aus Tüll und Spitze. Und dann ist da noch die Queen. Vielleicht nicht gerade die No-1-Fashion-Influencerin für junge Menschen, aber auf ihre Art durchaus schillernd. Im Gegensatz zu Gilda zieht die Queen ihre Handschuhe nur selten aus. Sie trägt sie nicht aus Eitelkeit, heißt es in einer dieser Königshaus begleitenden Gazetten, sondern aus hygienischen Gründen. Bevor Corona das Händeschütteln nachhaltig tabuisierte, pflegte die Queen besonders auf Reisen unzählige Hände zu schütteln.
Das Label-übergreifende Comeback auf dem Laufsteg verdanken die Handschuhe eben diesem hartnäckigen Virus. Schutz schön und gut, aber – das zeigte sich bereits bei den Mund-Nase-Masken – das Ganze geht auch mit Stil. Und vermutlich erträgt man diese ungemütlichen Zeiten tatsächlich besser, wenn die aufgezwungene oder gebotene Gesichtsverschleierung mit einer ästhetischen Note einhergeht. Bei den Chanel-Models sind Handschuhe dieses Jahr ebenso Standardausstattung wie die Walther PPK beim alten James Bond und seinen Kollegen der 00-Abteilung des britischen Secret Service.
Die neue Handschuhwelle kommt in allen erdenklichen Varianten und harmoniert prächtig mit den anderen Bekleidungseinfällen der Branche. Bei Marc Jacobs beispielsweise als fast schulterlange weiße Lederhandschuhe. Als extravaganter All-inclusive-Entwurf aus dem Hause Balenciaga, wo die Handschuhe Teil eines blauen Kleides sind, dessen lange, eng anliegende Ärmel nahtlos in die Handschuhe übergehen und offenlassen, wo der Ärmel endet und der Handschuh beginnt. In jedem Fall ein Hingucker sind die pinkfarbenen Lederhandschuhe von Virginie Viard für Chanel, die das Model zur Schwarz-Weiß-Kombination trägt und die von Weitem an Spülhandschuhe erinnern. Handschuhe gehören in jedem Fall zu den Corona-Gewinnern. Durch ihre Omnipräsenz und modische Vielfalt verlieren sie interessanterweise ihren einstigen snobistischen, Distanz-signalisierenden Beigeschmack.
Foto: Helmut Fricke