Krawattensterben

In zwei Jahren Homeoffice verschwanden Anzug und Krawatte aus den Kleiderschränken. Viele Angestellte verzichten auch im Büro gerne darauf, ergibt eine Studie.

Banker im T-Shirt? Anwälte in Jogginghose? Unternehmensberaterinnen in Leggins und Spaghetti-Top? Nach dem Ende der Corona-Verordnungen erscheint das Szenario nicht mehr ganz utopisch. Eine Studie der Unternehmensberatung BearingPoint von 2022 untersuchte den Einfluss der zweijährigen Büroabsenz auf die Kleiderordnung im Unternehmen: Bedeutet das Ende der Homeoffice-Pflicht auch die Rückkehr zum alten Dresscode? Die Rückkehr von Jeans und T-Shirt zu Anzug und Krawatte dürfte sich für so manchen Angestellten anfühlen wie der erste Arbeitstag nach dem Urlaub. „Echt jetzt? Muss das sein?“ Psychologisch gesehen durchaus knifflig: Menschen tun sich schwer damit, einmal gewonnene Freiheiten aufzugeben. Tatsächlich antworteten 62 Prozent der über 1000 Befragten, auch im Büro T-Shirt und Sweater zu tragen. Und nur 2 Prozent gaben an, sie könnten sich vorstellen, „täglich Krawatte oder Halstuch umzubinden“. Der Studienleiter bei BearingPoint, Alexander Schmid, erkennt darin Konfliktpotenzial: „Der Büro-Dresscode muss dann mit dem post-pandemischen Kleidungs- und Arbeitsverständnis im Grunde Unvereinbares irgendwie zusammenbringen. Das ist eine Führungsaufgabe, auf die viele Unternehmen bislang nicht vorbereitet sind.“

Was klar gegen ein Festhalten am alten Dresscode spricht: Viele Angestellte empfinden eine Kleidungsvorschrift als Bevormundung und damit als Motivationsbremse. Bei jungen Bewerbern mit einem vergleichsweise niedrigen Einstiegsgehalt hat ein Dresscode zudem finanzielle Auswirkungen. Die durchschnittlichen Ausgaben für Bürokleidung sanken von rund 1.200 Euro im Jahr 2019 (vor Corona) auf jährlich rund 500 Euro während der Corona-Jahre 2020 und 2021. Das ist ein Argument, erst recht bei allgemein steigenden Lebenshaltungskosten.

Befürworter eines Dresscodes argumentieren vor allem mit einem möglichen Respektverlust nach innen und einem Imageverlust nach außen. Für sie stehen Anzug und Kostüm für Professionalität und Kompetenz. Denkbar wäre allerdings, dass sich auch hier die Wahrnehmung von Kleidungsstilen verändert hat. Je häufiger legere Kleidung in den Anzug-und-Schlips-Branchen zu sehen ist, desto eher wird sie als normal betrachtet. Und allzu oft (besonders in der Politik) fallen Symbolik und tatsächliche Wahrnehmung weit auseinander, erinnern die Anzug- und Kostümträger eher an Mogelpackungen. Redliche Aufmachung, aber nichts dahinter. Gut möglich, dass sich eine neue Generation weit weniger von Äußerlichkeiten blenden lässt wie ihre Vorgänger.

Dennoch empfiehlt Studienleiter Schmid einen Kompromiss namens Smart Dresscode. Dieser Dresscode wäre einerseits anlassbezogen (wie im Privatleben, etwa bei Beerdigungen oder Abschlussfeiern), zum Beispiel bei Kundenterminen oder Präsentationen, zum anderen basiert er auf einer wechselseitigen Vereinbarung zwischen Unternehmen und Mitarbeitern, wird also nicht einseitig vom Unternehmen festgelegt. Werden Sinn und Zweck eines Dresscodes erörtert, umgeht das Unternehmen den Anschein von Willkür und „Das machen wir schon immer so“. Je stärker die Beschäftigten mit einbezogen werden in die Unternehmenskultur, desto eher identifizieren sie sich damit und fühlen sich für deren Umsetzung verantwortlich. Vielleicht lebt die Krawatte wieder auf und gewinnt sogar an Ansehen, wenn sie nur noch für besondere Anlässe getragen wird.

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