Studentenfutter

Mit Wanderstiefeln und Softshell-Jacke in die Szenebar? Echt jetzt? So isses. Für die Modebranche hat Gorpcore das Zeug zum stylishen Dauerläufer.

Ein Handtäschchen, dessen Form an ein Chalk Bag erinnert, wie es Kletterer benutzen, um ihren Händen und Fingern Halt zu geben, mit Zipper-Loops in Kletterseil-Optik, dazu das North-Face-Logo, ergänzt um den Schriftzug „Gucci“? Kein Modegag, sondern Teil eines Trends, von dem Experten glauben, dass er noch eine ganze Weile anhalten wird.

Funktionskleidung und Mode galten lange als Parallelwelten ohne Überschneidung. Doch mit Gorpcore (gorp ist ein Akronym für „Good Old Raisins and Peanuts“ und bedeutet „Studentenfutter“, das bei Outdoorfreaks als Wegzehrung beliebt ist) gelingt den beiden gegensätzlichen Outfit-Philosophien – hier Funktionalität, dort Ästhetik – eine unerwartete Synthese. Ihren Ursprung hat diese in der zunehmenden Präsenz von Funktionskleidung im Hipster- und Glamour-Milieu. Sport- und Outdoor-Bekleidungsunternehmen wie Arc’teryx, Jack Wolfskin, Patagonia und The North Face drängten in die urbanen Hotspots: Gore-Tex- und Softshell-Jacken, Fleece-Hoodies, Cargohosen, Wanderschuhe…

Camilla Clarkson, verantwortlich für die Kommunikation bei der Modesuchmaschine Lyst, ist überzeugt, dass die unzähligen Einschränkungen während der Corona-Phase die Erwartungen und Einstellungen vieler Menschen „grundlegend veränderten“: „In unsicheren Zeiten sind Bewegung und Funktionalität für viele Modeliebhaber zu wichtigen Kaufkriterien geworden.“ Vermutlich hat auch der Klimawandel beigetragen. Die wachsende Unzuverlässigkeit des Wetters in Form von starken Temperaturschwankungen und häufigem Wetterwechsel innerhalb kurzer Zeiträume war ebenfalls ein Argument für outdoortaugliche Kleidung und Layerings, besonders für Leute, die viel mit dem Fahrrad unterwegs sind und nicht ständig durchnässt im Büro oder im Restaurant sitzen wollen.

Diesen Trend bemerkten auch Modehäuser, die bis dato wenig oder nichts mit Wildnis- und Bergwanderklamotten zu tun hatten. Die Material-Expertise holten sich Gucci, Prada, Miu Miu, Jil Sander und Off-White bei den bereits erwähnten Outdoor-Posern. Sie selbst ergänzten knallige oder trendige Farben, Dessins, Kontraste und kreative Kombinationen. Ob das, abgesehen von der äußerst vitalen Marktperformance, durchweg eine gute Idee war, sei dahingestellt. Einige dieser Hybrid-Kreationen erwecken in den Alpen vermutlich ähnliches Stirnrunzeln wie das Auftauchen eines Yeti. Aber aufzufallen, egal wie, war ja stets ein wichtiger Motor von Modetrends.

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