Nicht nur Tränen fließen

Im Bericht The State of Fashion 2023 von The Business of Fashion und McKinsey & Company gibt sich die Branche überwiegend pessimistisch, abgesehen von einem Trend, der zumindest Geschlechtergrenzen überwindet.

In ihrem Bericht „The State of Fashion 2023“ blickt die Unternehmensberatung McKinsey auf die Erwartungen der Modebranche für das kommende Jahr. Die Ergebnisse basieren auf einer Umfrage unter Führungskräften. Pessimistisch zeigen sich die Befragten aufgrund von anhaltendem Fachkräftemangel sowie überproportional steigender Lebenshaltungskosten. Letzteres führe bei Konsumenten mit geringen bis mittleren Einkommen dazu, dass sie nicht notwendige Ausgaben reduzieren, zu denen für viele auch Mode zählt, während das Luxus-Segment davon kaum betroffen ist.

Außerdem deutet die Studie auf eine Stärkung regionaler (heimischer) Märkte, da sich einerseits die globalen Lieferketten angesichts zahlreicher Krisen als äußerst fragil erwiesen haben, andererseits strengere Nachhaltigkeitskriterien in den beteiligten Produktionsländern stärker in den Fokus rücken, etwa Transparenz und Arbeitsbedingungen.

Einen Lichtblick sieht die McKinsey-Studie im Trend zu (Gender) Fluid Fashion. Dieser Begriff ist weiter gefasst als unisex, also Kleidungsstücke, die entworfen wurden wurden, ohne dabei gezielt an Frauen oder Männer zu denken. Fluid Fashion beinhaltet auch, wenn beispielsweise Männer klassische Frauenkleidungsstücke (etwa Röcke oder Blusen) tragen. Dabei steht fluid (dt.: flüssig, fließend) für fließende (Geschlechter-)Grenzen, auch weil sie teilweise Körperformen verschwinden lässt, anstatt sie zu betonen. Vorreiter ist die Musikbranche mit androgynen Künstlern aus den 1970er und 1980er Jahren wie David Bowie, Boy George, Grace Jones (Bild) und Marilyn Manson, die allerdings ihrer Zeit weit voraus waren. Heute gibt es kaum ein moderelevantes Event ohne Fluid-Fashion-Statement, ganz gleich ob Met Gala oder Grammy-Verleihung. Jetzt scheint der Trend bei den Verbrauchern anzukommen.

In der Fluid Fashion sieht McKinsey eine gute Chance für die Modebranche, die ja ansonsten eher zu kämpfen hat – abgesehen vom Luxus-Segment, das von den Nöten der Otto-Normal-Verbraucher gewohnt unbehelligt bleibt. Einer der prominentesten Fluid-Fashion-Motoren in der Modebranche ist der US-amerikanische Designer und ehemalige Louis-Vuitton-Kreativdirektor Marc Jacobs, der unter anderem das Tournee-Outfit für Harry Styles entwarf. Die Hälfte der Konsumenten aus der Generation-Z-Kohorte, das sind Pi mal Daumen die Geburtsjahrgänge zwischen 1997 und 2012, habe „schon einmal Mode gekauft, die nicht ihrer Geschlechtsidentität entspricht“, heißt es bei McKinsey.
 

Foto: Helmut Fricke