Lack, Leder und Latex

Vom Keller in den Mainstream: Fetischmode rückt ins Tageslicht. Waren Lockdown und Maskenpflicht ein Auslöser für diesen Trend?

Gigi Hadid in einem bordeauxroten Airbag-Steppmantel von Versace, darunter eine gleichfarbige Kombi aus Latexhose und Korsett, Bella Hadid im schwarzen Leder-Korsettkleid von Burberry, Nicki Minaj in schwarzer Lederhose, einem Korsettkleid (ebenfalls von Burberry), Precious Lee in einem transparenten, mit Korsett verstärkten Catsuit von Altuzarra. Auf der Met Gala 2022 war es nicht zu übersehen: Fetischcore war kein vereinzelter Aufmerksamkeitsschrei eines von den Medien vernachlässigten Sternchens, sondern quasi der gute Ton – oder vielmehr das Gegenteil davon: die kollektive Aufforderung zum „Bestraf’ mich, Baby!“

Auch im Mainstream ist Fetisch-Core angekommen: Die Online-Mode-Plattform Stylight verzeichnete in diesem Jahr einen rasanten Nachfragezuwachs bei Korsetts, Latex-Minikleidern, Bondage-Outfits, Kunstleder-Bodysuits und Chokern.

Woher kommt diese plötzliche Präsenz eines Modestils, der sonst der BDSM- und Gothic-Szene vorbehalten ist? Fetisch-Mode steht grundsätzlich für gesellschaftlich oder kulturell unterdrückte oder tabuisierte sexuelle Präferenzen, spielt also mit dem Reiz des Verbotenen. Im historischen Kontext stieg die Nachfrage nach Fetisch-Kleidung vor allem nach Wirtschaftskrisen oder einschneidenden Großereignissen wie den beiden Weltkriegen, heißt es in einem Beitrag des Guardian. Offenbar fördert Endzeitstimmung die Bereitschaft, zu den eigenen Neigungen zu stehen.

Wenige Wochen vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs gründete Nativa Richard mit ihrem Mann in Paris ein Unternehmen für Fetischkleidung. Ihr It-Piece war ein kegelförmiger Stahl-BH (cone bra), der 1990 seine Wiedergeburt feierte: Madonna trug die Jean-Paul-Gaultier-Version als Bühnenkostüm auf ihrer Blonde-Ambition-Tour.

Auch die Corona-Pandemie und die damit legitimierten drastischen Eingriffe in die persönliche Freiheit sind womöglich Trigger für das offene Tragen von Fetisch-Mode. Der Zwang, das Gesicht ständig und überall mit einer Maske zu bedecken, die Verbannung in die eigenen vier Wände, vielleicht auch der Mangel an Gelegenheit, seine Bedürfnisse in Clubs auszuleben und der damit verbundene Käfigkoller fanden in der Fetisch-Mode ein Ventil, die erduldeten Zwänge zumindest symbolisch öffentlich umzukehren. Eine typische Traumatherapie integriert den Auslöser in den Alltag.

Im Rahmen der Londoner Ausstellung Undercover über die Evolution des Maskentragens sagte Kurator Andrew Groves: „In den letzten 18 Monaten befanden wir uns alle in einer seltsamen BDSM-Beziehung mit der Regierung, die unsere Körper kontrolliert, uns zwingt, Masken zu tragen, und uns vorschreibt, wen wir küssen oder berühren dürfen. Die Übernahme von Fetisch-Kleidung als Mode lässt sich als Verlangen interpretieren, diese Beziehung umzudrehen, die Kontrolle zurückzuerlangen und der Regierung zu zeigen, wer tatsächlich das Sagen hat.“

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