Seit der Herbst-Winter-Kollektion 2020 sind Gummistiefel in der Modewelt angekommen. Raus aus dem Country-Dasein, rein in die Citys. Cool, schrill, stylish. Regen gibt es schließlich überall.
Vor 50 Jahren, Ende November 1970, erschien George Harrisons Solo-Album All things must pass. Der Titel ist eine wenig verblümte Anspielung auf das Ende der Beatles im April desselben Jahres und seiner persönlichen Emanzipation von der Band. Auf dem Coverfoto sitzt George Harrison in einem Park, umringt von vier Gartenzwergen. Seine Beine stecken in Gummistiefeln, die fast ihm bis zum Knie reichen. Hätten die Beatles auf ihrem letzten Album Gummistiefel getragen, wären daraus womöglich ein Trend geworden – wie z. B. bei den Frisuren (Pilzköpfe), Stiefeletten („Beatle Boots“), kragenlosen Anzügen und den psychedelisch-bunten Klamotten (Peacock Style). So wurde Harrisons Platte nur ein musikalisch ein Erfolg und die wasserdichten Treter mussten 50 Jahre warten, bis sie endgültig in der Modewelt ankamen und sich von ihrer rein zweckmäßigen Seite emanzipierten, quasi eine (stylishe) Seele bekamen. Als Lady Diana, damals noch an der Seite von Country-Prinz Charles, Anfang der 80er auf einem Foto mit grünen Hunter Wellingtons (kurz: Wellies) posierte, wurde dieses Modell ein echter Renner. Vor allem beim Landadel – als immer noch in einem funktionalen und geografischen Kontext. Im gefühlten Dauernasskaltland England sind Gummistiefel quasi das untere Pendant zum Regenschirm. Eine schlichte Überlebensformel.
Benannt sind die Wellington Boots (auch Rain Boots und Rubber Boots), wie die Gummistiefel im Englischen genannt werden, nach dem Duke of Wellington, einem Militärfuzzi, dem Napoleon sein Waterloo (1815) verdankt. Dieser Wellington entwickelte für Soldaten wasserabweisende Lederstiefel. Später wurde deren Form für Gummistiefel übernommen. Grundlage für die echten Gummistiefel war allerdings das von Charles Goodyear 1839 entwickelte Vulkanisationsverfahren. Damit verwandelte er das zähflüssige Rohmaterial Kautschuk in elastischen Industriegummi. Im Kanon der City-Mode-kompatiblen Kleidungsstücke sind Gummistiefel eigentlich erst mit den diesjährigen Herbst-Winter-Kollektionen. Das allerdings geradezu unisono. Prada schickte ein Model in schienbeinhohen pinkfarbenen Gummistiefeln mit Cross-Country-Profil. Knapp über die Knöchel reichen die Nahtlos-Design-Stiefletten The Puddle Boots („Die Pfützenstiefel“) von Bottega Veneta, u. a. in den Farben Kiwi, Rubber Band (ein Art Karamell) und Lollipop. Und nicht nur Hunter verkauft mittlerweile Gummistiefel in Chelsea-Boot-Optik (nahe Verwandte der Beatle Boots!), die sich auch zu Business-Anzügen tragen lassen. Aigle, die französische Traditionsmarke für Outdoor-Equipment, gibt seinen Gummistiefeln ein urbanes Upgrade. Darunter sehr femininen Modellen aus der Reihe Miss Juliette: etwa kniehohe weiße Stiefel mit floralem Print und farblich abgehobener Sohle – ein anderes Modell dieser Reihe kommt auf Schienbeinhöhe mit Schnürung, wie sie auch bei Lederstiefeln zu finden ist. Dagegen wirken die Rubber Country Boots von Ganni mit Absätzen und einem Schaft bis unters Knie optisch wie etwas klobigere Wildlederstiefel. Aus modischer Sicht ist die Menschheit jedenfalls bestens vorbereitet auf die nächste Sintflut.
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