Sag mir, wo die Kunden sind

Online-Shopping und der immer schnellere Wandel von Trends und Moden nötigen die großen Warenhäuser zu neuen Wegen. Internet und KI könnten dabei vom Feind zum Freund werden.
 

„Sag mir, wo die Kunden sind“ ist nicht der Titel einer kapitalistischen Version von Pete Seegers vielfach gecoverten Anti-Kriegs-Song – auf Deutsch u. a. von Marlene Dietrich, Nana Mouskouri, Juliane Werding und Freddy Quinn. Es war vielmehr der rote Faden des diesjährigen World Department Store Summit in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul. Auf diesem Gipfeltreffen der Intercontinental Group of Department Stores (IGDS), einem globalen Verband umsatzaffiner Warenhäuser, ging es um Kundengewinnung. Eine große Herausforderung in Zeiten von Smartphone, Internet, KI, einer zunehmend unsicheren Weltlage und dem selbst verschuldeten Niedergang des Westens.

Die großen Trends, das haben die Experten dort erkannt, kommen längst nicht mehr aus Europa oder Amerika. Computer- und Videospiel-Konzerne wie Nintendo, Nexon und Tencent; Social Media Plattformen wie Tiktok zeigen, woher der neue Wind weht: Ostasien. Japan, China, Südkorea. Junge Frauen hängen sich dort nicht einfach nur eine Louis-Vuitton-Tasche um, an dieser hängt noch eines der trendigen Labubus, eine Art Monstervariante des Monchhichi-Äffchens aus den 1980er-Jahren.

Umdenken ist also gefragt. Und einer der erfolgversprechenden Wege, sagt die Trendforscherin YouHyun Suh von der Seoul National University, sei, den Kunden genauer unter die Lupe zu nehmen. Diesem gehe es nicht mehr nur um ein bestimmtes Produkt, sondern um Erlebnisse, um Einzigartigkeit und um eine starke Verbindung zu ihrem aktuellen Lebensgefühl. Das heißt, wer Kunden und speziell die Generation Z ansprechen will, also die Kohorte der zwischen Mitte der 1990er- und Anfang der 2010er-Jahre Geborenen, sollte gerade im Luxusbereich auf starke Personalisierung und Emotionalisierung setzen. Denn „die Gen Z sucht nicht das Bessere, sondern das Andere.“ Damit konkurrieren miteinander nicht mehr zwingend Hersteller oder Marken derselben Produktkategorie wie Sneaker oder Bikinis, sondern Stores mit Erlebnis-Anbietern. Oder wie Retail & CPG-Chef Suyoung Seo sagt: „Nikes größter Wettbewerber ist Nintendo.“

Die Lösung: Hyperpersonalisierung. Darunter versteht Seo das möglichst genaue Zuschneiden eines Produkts auf den jeweiligen Kunden, etwa wenn diese online oder direkt im Store auf einem Display sich ihr Wunschprodukt zusammenbasteln können. Eine personalisierte Variante des „On-demand“-Prinzips. Zudem sollen die Stores attraktiv für Influencer sein, quasi Content-Lieferanten für deren Social-Media-Kanäle. Und dann sind da noch Internet und KI. Das „next level“ der Kundengewinnung wäre der Schritt von der Aufmerksamkeitsökonomie – also vom Konkurrieren um Wahrnehmung und Zeit – zur Absichtsökonomie – also der Vorwegnahme von Kundenbedürfnissen, gewonnen aus mehr oder wenig freiwillig hinterlassenen Nutzerdaten. Der Albtraum der Datenschützer wird zum Heilsbringer der Luxusstores: Denn aus den persönlichen Informationen und Interessen, die Datenkraken wie Google und Co. den gläsernen Konsumenten entlocken, lassen sich für Händler nicht nur wertvolle Profile erstellen, sondern mittels KI auch das Verhalten von Kunden vorhersagen, ehe diese selbst davon wissen. Wer das frühzeitig erkennt, kann darauf schneller reagieren als die Mitbewerber und passende Angebote unterbreiten, eher der Kunde sich seines Bedürfnisse bewusst ist und aktiv nach Angeboten sucht. Menschen, die den Sinn ihres Lebens primär in Konsumoptimierung sehen, dürften diese Entwicklung womöglich begrüßen. Alle anderen erinnern sich vielleicht lieber an den Originaltext von Pete Seegers Song.

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