Malkasten der Macht

Dauer-Kanzlerin Angela Merkel tritt ab. Ihr modisches Vermächtnis ist ähnlich ernüchternd wie ihr politisches und diente zuallererst dem Machterhalt.

Opportunisten erkennt man nicht zuletzt an ihrer Kleidung. Sie haben weder Geschmack noch Stil. Stattdessen sorgen Berater jeweils für ein Modell, das die gewünschte Botschaft psychologisch unterstreicht. So steinzeitlich Angela Merkel in ihren politischen Ansichten daherkam, wann immer sie ihren nach unten hängenden Mund öffnete („Internet ist für uns alle Neuland“, 2013), so detailversessen pflegte sie ihren Machterhaltsperfektionismus. In Modefragen („Mode ist nicht mein Ding“) ließ sie sich entsprechend beraten. Farben spielen dabei eine entscheidende Rolle. Auch weil ihre birnenförmige Statur, mit der sie sich ihrem politischen Daddy Helmut Kohl zunehmend angenähert hat, wenig Spielraum lässt. Wie Karl Lagerfeld sagte: „Frau Merkel müsste etwas für ihre speziellen Proportionen maßanfertigen lassen.“ Kleines Schwarzes? Leggins? Etuikleid? Die ansonsten durchweg linientreuen Medien hätten die Kanzlerin wochenlang gegeißelt, weitaus heftiger noch als nach ihrem Schweißfleck-Fauxpas im lachsrosa Abendkleid bei den Bayreuther Festspielen 2005 oder ihrem unerwartet großzügigen Dekolleté-Einblick bei der Eröffnung der Osloer Oper 2008.

Merkels Standard-Outfit Blazer zur (meist schwarzen) Hose variierte sie durch die ganze Farbpalette. Ähnlich der Münchner Allianz-Arena: Spielt dort der FC Bayern, strahlt die Fassade rot, spielt 1860 München, ist sie blau, und am St. Patrick’s Day leuchtet sie grün. Als vermeintliche Frau hatte Angela Merkel in der immer noch männerdominierten Politikwelt den Vorteil, wenigstens theoretisch aus dem Vollen schöpfen zu können. Im Ausland und bei Koalitionsverhandlungen wählte sie häufig Blau, um ihrem Gegenüber Zuverlässigkeit, Kompetenz und Sachlichkeit zu suggerieren. Rot trug sie bevorzugt bei Versammlungen ihrer Partei. Ein Signal, „dass man Ergebnisse erzielen will und diese am besten schnell – ohne lange Verhandlungen und ohne etwas auf die lange Bank zu schieben“, kommentierte Marie-Luise Bodechtel vom Interessenverband Deutscher Farb- und Stilberater.

Bei ihren Neujahrsansprachen zeigte sich Angela Merkel oft in glänzendem Gold, Silber, Rot oder Türkis, was ihr die Aura einer Weihnachtskugel oder – passend zum Inhalt ihrer Rede – Märchentante verlieh. Nächstes Jahr dann blühende Landschaften. Echt jetzt. Versprochen, Leute. Auf Veranstaltungen ohne politische Ausrichtung wagte Merkel immer wieder knallige Farben wie Pink, Orange oder auch mal einen bunten Kimono, wie bei den Salzburger Festspielen 2014. Message: Optimismus, Nahbarkeit, Lebensfreude, ein Mensch mit Gefühlen – der Kontrast zur eiskalten Machtmaschine. 

Nach einigen Jahren Kanzlerschaft erwartete demnach niemand mehr von Angela Merkel, dass sie sich eines Tages modisch oder elegant kleidet oder dass Kleidung ihr überhaupt etwas bedeutet. „Auch Angela Merkel gibt vor, ein Mann zu sein, in der Art, wie sie sich anzieht und wie sie redet“, sagt die Historikerin Mary Beard, „So hat das auch schon Margaret Thatcher gemacht und zuletzt Hillary Clinton.“ Vielleicht hat ihr genau dieser Trick geholfen, nie wirklich als Frau wahrgenommen und beurteilt zu werden.

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