Auf Linie

Mehr noch als Farben, Rocklängen und Stoffe steht die Silhouette für das Spannungsverhältnis zwischen Mode und Gesellschaft der jeweiligen Zeit.

Rückblick: Bubikopf und gerade geschnittene, kniekurze Kleider sind die leichten flattrigen Hüllen des neuen weiblichen Selbstbewusstseins der 1920er Jahre und erlauben die Bewegungsfreiheit, die neue Gesellschaftstänze wie der Charleston erfordern. Hier findet die I-Silhouette ihren Ursprung – jedoch ohne die bewegungslimitierende Steifheit der Bleistiftkleider wie sie in den 1950ern populär werden, die sich ganz im Zeichen der Restauration präsentieren. Die Klischee-Protagonistin dieser Dekade ist die sich unterordnende, aber feminine Hausfrau mit halblanger Volumenfrisur, Figur betonenden Blusen und eher weiten knielangen Röcken und Kleidern bei schmaler Taille. Ihre Silhouette beschreibt ein X. In den 1960ern folgte die Mode dem massenhaften Aufbegehren der Frauen gegen sexuelle Unterdrückung, Fremdbestimmung und männliches Anstandsdiktat. Röcke und Frisuren werden kurz wie nie zuvor, die Silhouette schmal, von oben nach unten etwas weiter, eine sogenannte A-Linie. In den 1980ern reklamierten die Frauen ihren Anspruch, auch in der Businesswelt mitzumischen. Sinnbildlich der Titel von Mick Jaggers erster Solo-LP: She’s the Boss (1985). Und in der Mode: Kostüme mit (über-) breiten, gepolsterten Schultern, was bisweilen auch für Blusen galt. Klare Ansage: Wer nach oben will, sollte diesen Anspruch äußerlich transportieren, auch outfitmäßig auf den Putz hauen. Die Silhouette dieser Kraftperformance ist v-förmig. Selbst Kleider fügen sich in die Powerformel. Dazu eher weit geschnitten, was Frauen erlaubt, ihre Körpersilhouette in den Hintergrund zu rücken.

Und heute? 2020 scheint sich bei den 1980ern zu bedienen. Der Hosenanzug mit Football-Schultern ist wieder da. Nur, dass der Look durch seinen Dad-Blazer-Faktor noch kastiger, noch bossiger wirkt. Konsequent XXL sind auch die weißen Hemden darunter. Diese Silhouette nennt sich The Cube (Der Würfel) und setzt auf etwas festere, steifere Stoffe. Für den femininen Touch sorgen Accessoires und Hingucker wie ein Bra Top oder Bralette. Vielleicht nicht gerade der Look für einen Mad-Men-Cast, aber doch irgendwie cool.

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